Schlagwort-Archive: Realität im Sultasstaat

sie kommen

Seit Mitte letzter Woche gibt es das Gerücht, Merkel und der türkische Präsident kämen zur offiziellen Eröffnung meiner Universität. Ganz deutlich wurde der reale Hintergrund des Gerüchts beim Blick aus dem Fenster: plötzlich wurde überall auf dem Campus (das ganze Gelände ist recht neu bebaut, einige Gebäude stehen kurz vor der Inbetriebnahme, auch wenn die Universität schon seit sieben Jahren arbeitet). Müll wurde eingesammelt, überall tauchten plötzlich Gärtner auf, ein paar neue Bäume wurden geplfanzt, irgendwann tauchte ein dicker fetter Stein mit Plakette auf, die an die förmliche Eröffung morgen erinnert. Selbst der Abwasserkanal, der durch den Campus führt, wurde mit einer Baumaschine gereinigt, Parkbänke wurden aufgestellt, Löcher in den Pflasterwegen geflickt und neu gepflastert, um den Erinnerungsstein herum wurde die unansehnliche Grünfläche planiert, mit Blumen und Rollrasen bepflanzt. Man gibt sich Mühe, einen schicken, ordentlichen, modernen Eindruck zu erreichen, selbst die Straßenhunde wurden eingesammelt, von den rund zwanzig Hunden auf dem Campus sind drei oder vier übrig geblieben, die anderen wurden auf Initiative der Studenten in einer Hundepension untergebracht, so dass sie nicht völlig verschwinden, nächste Woche werden sie wieder auf dem Campus ihr gemütliches Leben weiter führen (wäre auch mal einen Eintrag wert, wie die Hunde hier auf dem Campus von wirklich vielen Studenten, Studentinnen, Lehrkräften verwöhnt und gehätschelt werden …).

Eigentlich wollte ich diesen Eintrag schon vorgestern schreiben, kam aber nicht dazu. Da hätte ich geschrieben, dass meiner Vermutung nach Unterrichtsausfall für die Studierenden verkündet würde. Stattdessen gab es Dienstagabend dann eine Einladung, bei der offiziellen Veranstaltung teilzunehmen, die Teilnahme sollte verbindlich bis spätestens 13:00 Uhr am Mittwoch bestätigt werden. In der Uni hieß es dann, dass wir nicht teilnehmen könnten, da ja Unterricht stattfände. gegen 14:00 Uhr kam dann die Mail, die den Unterrichtsausfall offiziell machte, eine Stunde nach Ende der Anmeldungsfrist.
Lange habe ich hin und her überlegt, ob ich teilnehmen soll oder nicht. Interessant wäre es schon, aber andererseits möchte ich auf keiner Veranstaltung einfach nur sitzen und zuhören, wo der Präsident welche Propaganda auch immer verbreitet, ich gehe davon aus, dass auch dort, wie immer, in jedem zweiten Satz das Wort „Terroristen“ fallen wird, vielleicht wegen der internationalen Besetung des Podiums nur in jedem dritten Satz, ich nehme an, dass er sich loben wird als Förderer der Wissenschaft (es ist allgemein bekannt, dass das Bildungssystem in der Zeit der seiner Regierung systematisch schlechter gemacht wurde), vermutlich wird er sich als Garanten der Freiheit und Demokratie in der Türkei preisen (wer Zugang über internationale Medien hat, kann sich ein eigenes Bild bilden) …
Sicher ist, dass es heftigste Sicherheitsmaßnahmen geben wird. Tatsächlich wundere ich mich, dass ich überhaupt eine Einladung bekam, ich bin Ausländer aber nicht von einer deutschen Stelle entsendet, ich bin im Internet aktiv, ich wage es, meine Meinung zu sagen,  …
Nun, ich werde nicht hingehen, ich komme nicht in die Verlegenheit, an einer Veranstaltung teilnehmen zu müssen, was ich eigentlich nicht ohne Zeichen der Ablehung tun könnte während eben gerade solche Zeichen nicht erwünscht sind und es durchaus die Gefahr gibt, die  weltweit berüchtigte Security des Präsidenten erleben zu dürfen – nicht ohne Grund wurde Unterrichtsausfall verkündet, ein paar ausgewählte und handverlesene Studenten werden wohl morgen Zugung zur Uni bekommen, die große Mehrheit wird ausgesperrt – es ist inzwischen undenkbar, dass der Präsident bei einer Veranstaltung auftritt, bei der Studenten ungehindert Zugang hätten. Insgesamt gehe ich davon aus, dass Morgen hier Ausnahmezustand verhängt wird, ich tue es mir nicht an, zu kommen, auch wenn die Unileitung der Meinung ist, man müsse anwesend sein, die Deutschen mit einer Sonderregelung, sie dürfen sich im Versammlungssaal im dritten Stock aufhalten und von den Fenstern aus zuschauen, während sich die türkischen Beamten der Uni jeweils in ihrem Bereich in Räumen auf der entgegengesetzten Seite aufhalten müssen, ohne die Möglichkeit zu sehen, was auf dem Campus vorgeht oder . Die Frage, ob sie denn während des Besuchs von Frau Merkel und des Präsidenten auf Toilette gehen dürfen, ist noch nicht abschließend geklärt, vielleicht wird es ihnen ja erlaubt werden …

Sylvester

Sylvester ganz türkisch:

Ein normaler voller Arbeitstag, für den wir dann extra aus Deutschland nach nur einer Woche Urlaub anreisen mussten (na gut, gestern durften wir auch arbeiten), um dann zwar den ersten Januar frei zu haben, aber dann auch heldenhaft am 2. und 3. Prüfungen zu machen.

Hier in Ortaköy haben wir dann beim Einkaufen Massen von Polizisten gesehen – Ortaköy ist einer der zentralen Orte hier in Istanbul, wo es Menschen zum Feiern hinzieht, wir wohnen eben immer gern zentral. Überall an den großen Straßen stehen Massen von Polizisten mit schicken kleinen Maschinenpistolen und kontrollieren so ziemlich jeden, der oder die dort im Auto vorbei kommen. Auch Fußgänger, die bestimmten Rastern entsprechen, werden kontrolliert.
Unser Neffe ist der Meinung, dass das unserer Sicherheit diene, ich bin der Meinung, dass das einfach nur Abschreckung und Einschüchterung ist – jeder, der mit einem sprengstoffgefüllten Rucksack und der Überzeugung, er komme in den von Jungfrauen geplfasterten Himmel, wenn er möglichst viele unschuldige Opfer mit sich in den Tod reißt, ist clever genug, nicht im Isis-Outfit  unterwegs zu sein oder sich in einer Uniform einer wirkichen terroristischen Vereinigung – und da gibt es tatsächlich auch neben den Sultansfreunden noch einige mehr im Lande ins Getümmel zu stürzen – nein, natürlich würden die Leute sich tarnen und die haben dann eben auch keine Angst vor den Maschinengewehren, wissen sie doch, dass sie sowieso gleich tot und im Himmel sind …